Arbeit mit dem inneren Kind


Immer wieder mache ich die Erfahrungen, dass sehr sehr viele unserer Verhaltensweisen und der damit verbundenen Gefühle in bestimmten Situationen auf ähnliche bestimmte Situationen aus früheren Zeiten zurück zu führen sind.

Rote Rosen

Rote Rosen

Ein Beispiel: Eine Klientin schildert mir, dass sie enorme Schwierigkeiten hat, eine Entscheidung zu treffen. Sie sieht sich nicht in der Lage, sich „richtig“ zu entscheiden, ihr Körper fühlt sich wie gelähmt an, während sich in ihrem Inneren eine Panik ausbreitet, sie ist völlig hilflos und ausgeliefert. Ich stelle ihr die Frage, wie alt sie sich da fühlt. Die Antwort lautet, wie ein kleines Kind. Ich bitte sie, ihre Augen zu schließen und nach einer kurzen entspannenden und Geborgenheit-vermittelnden Einleitung stelle ich ihr die Frage, wie genau sich das Kind fühlt. Es ist 9 Jahre alt, es befindet sich mit anderen Mitschülern in einer Schwimmhalle beim Schwimmunterricht. Das Mädchen kann nicht schwimmen und ist wasserscheu. Alle Kinder springen ins Wasser, sie traut sich nicht, überlegt, versucht ihren Mut zu fassen, um die von ihr erwartete Entscheidung zu treffen. Alle Kinder starren sie an, fangen an, sie auszulachen, sie fühlt sich alleine, ausgeliefert... Es kommt ganz plötzlich und unerwartet der Schwimmlehrer, den sie in ihrer Angst ganz vergessen hat, schubst sie mit einem kräftigen Hieb von der Seite mit einer Stange ins tiefe Wasser... Sie schnappt nach Luft, strampelt mit den Armen und Beinen, versucht in Panik verzweifelt an den Rand des Beckens zu kommen, während in ihr die Todesangst tobt...

Die Situation in der Therapiestunde verläuft anders – keinen einzigen Moment lasse ich das Kind seinem Schicksal ausgeliefert. Die Klientin spürt deutlich in dem Ton meiner entschlossenen Stimme, die sie ständig begleitet und ermutigt, dass sie nicht alleine ist während sie zum Rand schwimmt. Natürlich schafft sie es, denn sie hat es auch damals geschafft, dieses mal erreicht sie ihr Ziel mit dem Gefühl: Ich darf (mir) vertrauen, ich wurde nicht alleine gelassen, der Situation ausgeliefert. Nach dem sie aus dem Wasser raus ist, wird sie sofort mit Trost versorgt und liebevoll umhegt. Danach ist der Schwimmlehrer an der Reihe. Wir schicken die „ideale“ Mutter des Mädchens ins Geschehen. Während die Mutter das Mädchen beschützt, kommuniziert sie dem Lehrer sehr klar, deutlich und überzeugend, dass so etwas absolut nicht in Frage kommt, dass man mit ihrem Kind niemals so umgehen darf!

Alles geschieht „nur“ in der Fantasie, es hat jedoch eine wundersam heilende Wirkung.

In einer der kommenden Sitzungen berichtet mir die Klientin, dass es ihr eindeutig leichter fällt, Entscheidungen zu treffen.

Ich traue mich zu äußern, dass jeder Mensch mindestens einmal in seinem Leben eine Situation erlebt hat, in der er sich verletzt, ausgeliefert, alleingelassen, ungerecht behandelt, ungeliebt usw. fühlte. Die meisten dieser Situationen stammen aus der Kindheit, denn das Kind ist noch verletzlich und sensibel, es kann sich nicht wie der Erwachsene mit seinen Erfahrungen zu Wort melden und nur ungenügend zum Verständnis mancher Momente beitragen. Weiterhin stelle ich fest, dass die meisten dieser prägenden Situationen aus der Beziehung zu unseren Eltern stammen. Denn das sind unsere engsten Bezugspersonen und wir sind als Kinder völlig von ihnen abhängig.

Eiskristalle auf einem Baumstamm

Eiskristalle auf einem Baumstamm

In der therapeutischen Arbeit mit dem inneren Kind geht es also darum, solche Momente oder auch dauerhafte Erfahrungen aus der Vergangenheit (es muss nicht nur die Kindheit sein) aufzuspüren und dem mittlerweile Erwachsenen zu helfen, sie in die Heilung zu bringen. Es geht auf keinen Fall darum, jemanden die „Schuld“ zu zuweisen oder den „Bösen“ zu suchen, sondern dem Kind (bzw. dem jüngeren Ich) den Beistand, den Trost, die Zuneigung und die Liebe zu schenken, welche es in dem damaligen Moment gewünscht und notwendigerweise gebraucht hätte.

Das hilfreichste Mittel in diesem Aufspüren ist unser eigener Körper, denn jedes unserer Gefühle macht sich als eine Körperempfindung bemerkbar (z.B. Kloß im Hals, Druck auf der Brust, Grummeln im Bauch, schweißnasse Hände), wird lebenslang gespeichert und lässt sich in einer vertrauensvollen und wertschätzenden Atmosphäre, für die ich sorge, abrufen.

In der Therapie stütze ich mich auf das Wissen von erfahrenen Therapeutinnen, wie Verena Kast, Luise Reddemann und Gabriele Kahn, auf die Erfahrungen aus meiner eigenen Psychotherapie und vor allem auf mein eigenes Mitgefühl und meine Intuition.

Anzeichen für ein verletztes inneres Kind:

  • Betroffene/r fühlt sich in bestimmten Situationen wie ein kleines Kind
  • B. ist nicht in der Lage, klare Grenzen zu setzen, z.B. Nein, das machst du mit mir nicht!
  • B. lässt sich aufgrund seiner Gefühle manipulieren, z.B. schlechtes Gewissen, Schuldgefühle
  • B. ist ganz wichtig, dass er mit allen harmonisch auskommt, wünscht sich über alles anerkannt, beliebt, gemocht zu werden → ist bereit seine eigenen Bedürfnisse dafür zu verraten
  • B. rastet aus, wird wütend, beschimpft und beschuldigt alle anderen
  • B. wird bockig, trotzig, eingeschnappt
  • B. hat Angst vor einem anderen Erwachsenen etwas anzusprechen, zu fragen
  • B. traut sich manches nicht
  • B. bekommt Herzklopfen, wenn eine Autoritätsperson ihn anschaut
  • B. ist der Meinung, andere Personen sind wichtiger als er; er muss sich hinten anstellen
  • B. hat sehr nah am Wasser gebaut
  • B. ist ein Perfektionist und hat sehr hohe Anforderungen an sich selbst
  • B. leidet unter Helfersyndrom
  • B. ist übertrieben ehrgeizig und setzt sich selbst unter Leistungsdruck